Mal wieder etwas Inhalt
Wieso Europa? Ist die europäische Einigung ein Prozess, der von nationalen politischen Akteuren auf Grund kultureller und politischer Homogenität innerhalb der europäischen Kontinents als richtig erkannt und deswegen (teilweise an den Regierten vorbei) durchgesetzte wurde, oder ist die EU vielmehr als Reaktion auf den verschärften internationalen Wettbewerb mit anderen, zum Teil supranationalen Wirtschaftsregionen (USA/NAFTA, China, ASEAN FTA) zu sehen? Hinter dieser Frage steckt die noch grundsätzlichere Frage, die in der EU im Zuge der Debatte um den Beitritt der Türkei immer häufiger aufgeworfen wird: Ist die EU eine Wertegemeinschaft, in der sich souveräne Staaten in Frieden und Freiheit zu einem Bundesstaat vereinigen, oder soll die Perspektive der EU in der Errichtung einer (dann möglichst großen) Freihandelszone, die den Mitgliedsstaaten weitgehende politische Autonomie verspricht, liegen?
Um diese Frage zu klären, müssen zunächst Kategorien gefunden werden, an denen sich mögliche Motive für oder Erwartungen an die europäische Einigung ablesen lassen können.
Zu diesen Kategorien zählen:
• Die Akzeptanz (oder Bekanntheit) von europäischen Institutionen bei EU-Bürgern,
• das Verhalten nationaler Akteure auf europäischer Ebene (etwa die Kompromissbereitschaft der Regierungschefs auf Gipfeltreffen),
• die Stellung der EU in den nationalen Haushalten,
• offizielle Erklärungen von nationalen Regierungen und EU-Gremien (z.B. Lissabon-Papier),
• die Haltung zu weiteren EU-Erweiterungen.
In Bezug auf die Akzeptanz der Bevölkerung darf unterstellt werden, dass eine von politischem Willen aller Beteiligten getragenen Einigung eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung aufweisen würde als eine von strukturellen Zwängen herbeigeführte Einigung.
Die Zustimmung zur Mitgliedschaft ihres Landes in der europäischen Union beträgt europaweit 50%, wobei der Wert nach dem Scheitern der EU-Verfassung rückläufig ist . Bei 40% ruft die EU ein positives Bild hervor, auch dieser Wert ist rückläufig. Bei den europäischen Institutionen sehen die Zahlen ähnlich aus, wobei die EU-Kommission mit nur 46% Vertrauensvorschuss den schlechtesten Wert der Institutionen erzielt.
Interessant sind zudem die Meinungen der Bürger zu den Themen EU-Verfassung und Erweiterung.
So sind trotz der Ergebnisse der Referenden in Frankreich und den Niederlanden 63% der Bürger grundsätzlich für eine EU-Verfassung. Als Grund geben 60% der Befragten an, dass die Verfassung für ein Funktionieren der europäischen Union unerlässlich sei.
Die Zustimmung zu einer weiteren Erweiterung der EU liegt bei 49%, wobei die Zustimmung in den neuen Mitgliedsstaaten sehr hoch ist, während sich in den alten Mitgliedsländern (vor allem die Länder, die zurzeit als „Kerneuropa“ in der Diskussion sind) eine breite Ablehnung feststellen lässt. Die Zustimmung hängt allerdings stark vom jeweiligen Beitrittskandidaten ab, was ich weiter unten genauer ausführen werde.
Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hingegen wird in ganz Europa von 70 bis 80% der Bevölkerung unterstützt.
An diesen Zahlen lässt sich ablesen, dass die europäische Bevölkerung durchaus an einer Vertiefung der europäischen Beziehungen interessiert ist. Eine weitere Erweiterung der Union, die den Fokus mehr in Richtung Freihandelszone Europa verschieben würde, wird hingegen abgelehnt.
Allerdings muss die öffentliche Meinung nicht notwendigerweise das Handeln der nationalen Regierungen in EU-Angelegenheiten bestimmen. Hierfür gab es in der Geschichte der EU genug Beispiele, als jüngstes sei die Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrags durch den Bundestag gegen den (in Meinungsumfragen geäußerten) Willen der deutschen Bevölkerung genannt. Deswegen muss das Verhalten nationaler Akteure der EU gegenüber gesondert betrachtet werden. Es wird davon ausgegangen, dass eine gewollte Einigung sich durch hohe Kompromissbereitschaft und das Zurückstellen nationaler Interessen auszeichnet.
Hier lässt sich feststellen, dass die Bereitschaft der einzelnen Mitgliedsstaaten, ihre nationalen Interessen zurückzustellen, gering ist. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass nationale Regierungen den Wählern in ihrem jeweiligen Land verpflichtet sind und daran gemessen werden, was sie für ihre Bürger „rausgeholt“ haben. Jüngstes Beispiel dafür waren die Verhandlungen über die Finanzvorschau 2007-2013, in denen vor allem das Vereinigte Königreich nicht von seinen Vorstellungen über die Finanzierung der EU abrücken wollte. Allerdings erscheint es angesichts des bereits zurückgelegten Weges der europäischen Einigung undenkbar, dass eine nationale Regierung die EU auf Grund von Meinungsverschiedenheiten über finanzielle Fragen verlässt. Trotzdem zeigten die Budgetverhandlungen exemplarisch ein zentrales Problem Europas: Die Verhandlungen über Europas Zukunft werden von Politikern geführt, die nicht von einer europäischen, sondern von vielen nationalen Bevölkerungen gewählt werden. Um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden, müssen sie somit immer wieder nationale Interessen über europäische Belange setzen. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in der Bedeutung von Wahlen auf europäischer Ebene: In den meisten Fällen sind diese Wahlen ein Referendum über die nationale Politik und werden von den Wählern häufig genutzt, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Europäische Fragestellungen spielen bei der Wahlentscheidung meist eine untergeordnete Rolle. Dies ist ein Gegensatz zu anderen Bundesstaaten wie z.B. den USA, wo Wahlen in den Bundesstaaten oder Kongresswahlen genutzt werden, um der bundesstaatlichen Politik ein Zeugnis auszustellen und zeigt, dass sich in der EU bislang noch keine übergreifende politische Kultur gebildet hat.
Eine weitere Kategorie, an der sich die Stellung der EU ablesen lässt, sind die Ausgaben, die die Mitgliedsstaaten für den EU-Haushalt tätigen. Eine Union, die weit reichende Kompetenzen in der Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat, sollte finanziell gut ausgestattet werden, um ihre Pflichten zu erfüllen. Würde Europa weitgehend als Freihandelszone selbstständiger Partner verstanden, wäre dies nicht oder in weitaus geringerem Umfang nötig.
An dieser Stelle muss wiederum die Finanzvorschau für die Jahre 2007-2013 in Betracht gezogen werden. Diese sieht für den fraglichen Zeitraum Ausgaben von 849 Mrd. € vor . Zum Vergleich: Im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland waren allein für das Jahr 2004 Ausgaben in Höhe von 1.038 Mrd. € vorgesehen. Angesichts der Höhe der Agrarsubventionen, die mit fast 300 Mrd. € im neuen Finanzplan immer noch einen Großteil aller Ausgaben ausmachen, ist es kaum vorstellbar, dass die EU in den nächsten Jahren ihre Kompetenzen auf verschiedenen Politikfeldern ausweiten kann. Um die europäische Einigung substantiell voranzubringen, hätte es entweder einer deutlichen Erhöhung des EU-Budgets oder aber einer Absenkung der Zahlungen für Agrarsubventionen und Strukturausgleich bedurft. Den harten Budgetverhandlungen nach zu urteilen, war jedoch der Wille der Mitgliedsstaaten, Aufgaben von der nationalen auf supranationale Ebene zu verlagern, nicht vorhanden.
Die Rolle der EU wird nicht zuletzt auch von den Erklärungen der Mitgliedsstaaten und der europäischen Institutionen definiert.
Hierbei lässt sich feststellen, dass sich die Ziele der Europäischen Union im Laufe der Zeit geändert haben. In den Anfängen ging es den Mitgliedsstaaten der Montanunion darum, den Frieden in Europa zu sichern. Auch unter dem Eindruck der Bedrohung durch den Warschauer Pakt entstand die Vision eines geeinten Europas. Im März 2000 verabschiedete ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs die so genannte Lissabon-Strategie. Darin werden als Hauptziel der Union Wachstum und Beschäftigung genannt, zudem sieht man sich nun auf globaler Ebene als Wirtschaftsraum, der in Konkurrenz mit anderen Wirtschaftsräumen, vor allem den USA und Japan, steht. Die EU hat sich selbst zum Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Auch wenn man bislang von diesem Ziel noch weit entfernt ist, so ist es doch interessant, dass sich das Augenmerk der EU auch in der Selbstdarstellung von der politischen Einigung zur Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs verschiebt.
Unter den Mitgliedsstaaten gibt es naturgemäß verschiedene Ansichten über die Rolle der EU. Während vor allem kleinere Länder wie Belgien und Luxemburg für eine weitergehende Ausweitung der Kompetenzen der EU sind, geben sich andere Mitglieder, allen voran England, mit dem Status quo der europäischen Einigung zufrieden.
Diese unterschiedlichen Ansichten schlagen sich auch in der Haltung der Mitgliedsstaaten weiteren EU-Erweiterungen gegenüber nieder.
Es darf davon ausgegangen werden, dass jede Aufnahme eines neuen Mitgliedsstaates aus den ehemaligen Ostblockstaaten, dem nahen Osten oder Afrika die politische und kulturelle Einigung Europas deutlich erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Staaten, die nicht auf dem Gebiet des „alten“ Westeuropas, wie es sich nach dem 2. Weltkrieg darstellte, liegen, wurden in den 40 Jahren der kommunistischen Herrschaft politisch völlig anders geprägt und machen somit das Entstehen einer „europäischen Idee“, mit der sich die Menschen von Lissabon bis Warschau und von Stockholm bis Palermo identifizieren können, unwahrscheinlicher. Noch problematischer wird es, wenn Staaten aufgenommen werden sollen, die außerhalb der geografischen Grenzen der EU liegen und zudem islamisch geprägt sind, so z.B. die Türkei, Marokko oder Tunesien.
In der Debatte um den Beitritt der Türkei zeigte sich, dass vor allem Großbritannien für eine schnelle Aufnahme der Verhandlungen warb, während andere Mitgliedsstaaten, allen voran Österreich, die europäische Integration bedroht sahen und mit einer begrenzten „Aufnahmefähigkeit“ der EU argumentierten.
Wie bereits oben erwähnt, hängt die Akzeptanz von Erweiterungen in der Bevölkerung vom jeweiligen Beitrittskandidaten ab. Die Zustimmungsraten für Staaten aus Westeuropa sind signifikant höher als die für Staaten des ehemaligen Ostblocks. Für einen Beitritt der Schweiz und Norwegen sprechen sich 77% der EU-Bevölkerung aus , auch ein Beitritt Islands wird mit 68% Zustimmung deutlich positiv bewertet. Bei den Beitrittskandidaten aus dem ehemaligen Ostblock sinken die Zustimmungsraten auf 51% (Kroatien), 43% (Rumänien) und 40% (Bosnien-Herzegowina). Auf breite Ablehnung stößt ein Beitritt der Türkei, 55% der Befragten sprechen sich dagegen aus.
Dies bestätigt die These, dass die Bürger der EU eher an einer Vertiefung der europäischen Beziehungen als an der Errichtung einer möglichst großen Freihandelszone interessiert sind.
Betrachtet man alle Kategorien, so lässt sich feststellen, dass in Europa der Gedanke einer politischen Union immer noch Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Mitgliedsstaaten hat. Allerdings ist diese europäische Vision heute mehr von den Bürgern getragen. Sie wünschen sich ein einheitliches, demokratisches Europa und lehnen die Konzentration auf ökonomische Vorteile der EU ab. Dies zeigte sich besonders deutlich in der Verfassungsdiskussion in Frankreich, einem Land, das sich trotz grundsätzlich positiver Einstellung einer EU-Verfassung gegenüber (67% der Franzosen befürworten eine Verfassung) in einer Volksabstimmung gegen die Verfassung aussprach, weil viele Franzosen sie als unsozial empfanden.
Diesem Trend entgegen stehen die Lissabon-Strategie und die Bestrebungen der Regierungen einiger Mitgliedsstaaten, allen voran Großbritannien, die die EU hauptsächlich als Wirtschaftsraum im globalen Wettbewerb sieht. Angesichts der verschärften Wettbewerbsbedingungen durch die Globalisierung kann man diesen strukturellen Zwang sicherlich nicht verleugnen. Wenn die EU auf Dauer bestehen will, muss sie besonderes Augenmerk auf die wirtschaftliche Entwicklung Europas legen. Allerdings darf dieses wichtige Ziel nicht um den Preis einer weitergehenden europäischen Einigung verfolgt werden. Diese Gefahr bestünde jedoch, wenn man aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus einer uferlosen Expansion der EU zustimmen würde.
Um diese Frage zu klären, müssen zunächst Kategorien gefunden werden, an denen sich mögliche Motive für oder Erwartungen an die europäische Einigung ablesen lassen können.
Zu diesen Kategorien zählen:
• Die Akzeptanz (oder Bekanntheit) von europäischen Institutionen bei EU-Bürgern,
• das Verhalten nationaler Akteure auf europäischer Ebene (etwa die Kompromissbereitschaft der Regierungschefs auf Gipfeltreffen),
• die Stellung der EU in den nationalen Haushalten,
• offizielle Erklärungen von nationalen Regierungen und EU-Gremien (z.B. Lissabon-Papier),
• die Haltung zu weiteren EU-Erweiterungen.
In Bezug auf die Akzeptanz der Bevölkerung darf unterstellt werden, dass eine von politischem Willen aller Beteiligten getragenen Einigung eine höhere Akzeptanz in der Bevölkerung aufweisen würde als eine von strukturellen Zwängen herbeigeführte Einigung.
Die Zustimmung zur Mitgliedschaft ihres Landes in der europäischen Union beträgt europaweit 50%, wobei der Wert nach dem Scheitern der EU-Verfassung rückläufig ist . Bei 40% ruft die EU ein positives Bild hervor, auch dieser Wert ist rückläufig. Bei den europäischen Institutionen sehen die Zahlen ähnlich aus, wobei die EU-Kommission mit nur 46% Vertrauensvorschuss den schlechtesten Wert der Institutionen erzielt.
Interessant sind zudem die Meinungen der Bürger zu den Themen EU-Verfassung und Erweiterung.
So sind trotz der Ergebnisse der Referenden in Frankreich und den Niederlanden 63% der Bürger grundsätzlich für eine EU-Verfassung. Als Grund geben 60% der Befragten an, dass die Verfassung für ein Funktionieren der europäischen Union unerlässlich sei.
Die Zustimmung zu einer weiteren Erweiterung der EU liegt bei 49%, wobei die Zustimmung in den neuen Mitgliedsstaaten sehr hoch ist, während sich in den alten Mitgliedsländern (vor allem die Länder, die zurzeit als „Kerneuropa“ in der Diskussion sind) eine breite Ablehnung feststellen lässt. Die Zustimmung hängt allerdings stark vom jeweiligen Beitrittskandidaten ab, was ich weiter unten genauer ausführen werde.
Eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik hingegen wird in ganz Europa von 70 bis 80% der Bevölkerung unterstützt.
An diesen Zahlen lässt sich ablesen, dass die europäische Bevölkerung durchaus an einer Vertiefung der europäischen Beziehungen interessiert ist. Eine weitere Erweiterung der Union, die den Fokus mehr in Richtung Freihandelszone Europa verschieben würde, wird hingegen abgelehnt.
Allerdings muss die öffentliche Meinung nicht notwendigerweise das Handeln der nationalen Regierungen in EU-Angelegenheiten bestimmen. Hierfür gab es in der Geschichte der EU genug Beispiele, als jüngstes sei die Ratifizierung des EU-Verfassungsvertrags durch den Bundestag gegen den (in Meinungsumfragen geäußerten) Willen der deutschen Bevölkerung genannt. Deswegen muss das Verhalten nationaler Akteure der EU gegenüber gesondert betrachtet werden. Es wird davon ausgegangen, dass eine gewollte Einigung sich durch hohe Kompromissbereitschaft und das Zurückstellen nationaler Interessen auszeichnet.
Hier lässt sich feststellen, dass die Bereitschaft der einzelnen Mitgliedsstaaten, ihre nationalen Interessen zurückzustellen, gering ist. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass nationale Regierungen den Wählern in ihrem jeweiligen Land verpflichtet sind und daran gemessen werden, was sie für ihre Bürger „rausgeholt“ haben. Jüngstes Beispiel dafür waren die Verhandlungen über die Finanzvorschau 2007-2013, in denen vor allem das Vereinigte Königreich nicht von seinen Vorstellungen über die Finanzierung der EU abrücken wollte. Allerdings erscheint es angesichts des bereits zurückgelegten Weges der europäischen Einigung undenkbar, dass eine nationale Regierung die EU auf Grund von Meinungsverschiedenheiten über finanzielle Fragen verlässt. Trotzdem zeigten die Budgetverhandlungen exemplarisch ein zentrales Problem Europas: Die Verhandlungen über Europas Zukunft werden von Politikern geführt, die nicht von einer europäischen, sondern von vielen nationalen Bevölkerungen gewählt werden. Um ihre Wiederwahl nicht zu gefährden, müssen sie somit immer wieder nationale Interessen über europäische Belange setzen. Dieser Zusammenhang zeigt sich auch in der Bedeutung von Wahlen auf europäischer Ebene: In den meisten Fällen sind diese Wahlen ein Referendum über die nationale Politik und werden von den Wählern häufig genutzt, um der Regierung einen Denkzettel zu verpassen. Europäische Fragestellungen spielen bei der Wahlentscheidung meist eine untergeordnete Rolle. Dies ist ein Gegensatz zu anderen Bundesstaaten wie z.B. den USA, wo Wahlen in den Bundesstaaten oder Kongresswahlen genutzt werden, um der bundesstaatlichen Politik ein Zeugnis auszustellen und zeigt, dass sich in der EU bislang noch keine übergreifende politische Kultur gebildet hat.
Eine weitere Kategorie, an der sich die Stellung der EU ablesen lässt, sind die Ausgaben, die die Mitgliedsstaaten für den EU-Haushalt tätigen. Eine Union, die weit reichende Kompetenzen in der Außen- Sicherheits- und Verteidigungspolitik hat, sollte finanziell gut ausgestattet werden, um ihre Pflichten zu erfüllen. Würde Europa weitgehend als Freihandelszone selbstständiger Partner verstanden, wäre dies nicht oder in weitaus geringerem Umfang nötig.
An dieser Stelle muss wiederum die Finanzvorschau für die Jahre 2007-2013 in Betracht gezogen werden. Diese sieht für den fraglichen Zeitraum Ausgaben von 849 Mrd. € vor . Zum Vergleich: Im Haushalt der Bundesrepublik Deutschland waren allein für das Jahr 2004 Ausgaben in Höhe von 1.038 Mrd. € vorgesehen. Angesichts der Höhe der Agrarsubventionen, die mit fast 300 Mrd. € im neuen Finanzplan immer noch einen Großteil aller Ausgaben ausmachen, ist es kaum vorstellbar, dass die EU in den nächsten Jahren ihre Kompetenzen auf verschiedenen Politikfeldern ausweiten kann. Um die europäische Einigung substantiell voranzubringen, hätte es entweder einer deutlichen Erhöhung des EU-Budgets oder aber einer Absenkung der Zahlungen für Agrarsubventionen und Strukturausgleich bedurft. Den harten Budgetverhandlungen nach zu urteilen, war jedoch der Wille der Mitgliedsstaaten, Aufgaben von der nationalen auf supranationale Ebene zu verlagern, nicht vorhanden.
Die Rolle der EU wird nicht zuletzt auch von den Erklärungen der Mitgliedsstaaten und der europäischen Institutionen definiert.
Hierbei lässt sich feststellen, dass sich die Ziele der Europäischen Union im Laufe der Zeit geändert haben. In den Anfängen ging es den Mitgliedsstaaten der Montanunion darum, den Frieden in Europa zu sichern. Auch unter dem Eindruck der Bedrohung durch den Warschauer Pakt entstand die Vision eines geeinten Europas. Im März 2000 verabschiedete ein Sondergipfel der EU-Staats- und Regierungschefs die so genannte Lissabon-Strategie. Darin werden als Hauptziel der Union Wachstum und Beschäftigung genannt, zudem sieht man sich nun auf globaler Ebene als Wirtschaftsraum, der in Konkurrenz mit anderen Wirtschaftsräumen, vor allem den USA und Japan, steht. Die EU hat sich selbst zum Ziel gesetzt, bis zum Jahre 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt zu werden. Auch wenn man bislang von diesem Ziel noch weit entfernt ist, so ist es doch interessant, dass sich das Augenmerk der EU auch in der Selbstdarstellung von der politischen Einigung zur Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs verschiebt.
Unter den Mitgliedsstaaten gibt es naturgemäß verschiedene Ansichten über die Rolle der EU. Während vor allem kleinere Länder wie Belgien und Luxemburg für eine weitergehende Ausweitung der Kompetenzen der EU sind, geben sich andere Mitglieder, allen voran England, mit dem Status quo der europäischen Einigung zufrieden.
Diese unterschiedlichen Ansichten schlagen sich auch in der Haltung der Mitgliedsstaaten weiteren EU-Erweiterungen gegenüber nieder.
Es darf davon ausgegangen werden, dass jede Aufnahme eines neuen Mitgliedsstaates aus den ehemaligen Ostblockstaaten, dem nahen Osten oder Afrika die politische und kulturelle Einigung Europas deutlich erschwert, wenn nicht unmöglich macht. Staaten, die nicht auf dem Gebiet des „alten“ Westeuropas, wie es sich nach dem 2. Weltkrieg darstellte, liegen, wurden in den 40 Jahren der kommunistischen Herrschaft politisch völlig anders geprägt und machen somit das Entstehen einer „europäischen Idee“, mit der sich die Menschen von Lissabon bis Warschau und von Stockholm bis Palermo identifizieren können, unwahrscheinlicher. Noch problematischer wird es, wenn Staaten aufgenommen werden sollen, die außerhalb der geografischen Grenzen der EU liegen und zudem islamisch geprägt sind, so z.B. die Türkei, Marokko oder Tunesien.
In der Debatte um den Beitritt der Türkei zeigte sich, dass vor allem Großbritannien für eine schnelle Aufnahme der Verhandlungen warb, während andere Mitgliedsstaaten, allen voran Österreich, die europäische Integration bedroht sahen und mit einer begrenzten „Aufnahmefähigkeit“ der EU argumentierten.
Wie bereits oben erwähnt, hängt die Akzeptanz von Erweiterungen in der Bevölkerung vom jeweiligen Beitrittskandidaten ab. Die Zustimmungsraten für Staaten aus Westeuropa sind signifikant höher als die für Staaten des ehemaligen Ostblocks. Für einen Beitritt der Schweiz und Norwegen sprechen sich 77% der EU-Bevölkerung aus , auch ein Beitritt Islands wird mit 68% Zustimmung deutlich positiv bewertet. Bei den Beitrittskandidaten aus dem ehemaligen Ostblock sinken die Zustimmungsraten auf 51% (Kroatien), 43% (Rumänien) und 40% (Bosnien-Herzegowina). Auf breite Ablehnung stößt ein Beitritt der Türkei, 55% der Befragten sprechen sich dagegen aus.
Dies bestätigt die These, dass die Bürger der EU eher an einer Vertiefung der europäischen Beziehungen als an der Errichtung einer möglichst großen Freihandelszone interessiert sind.
Betrachtet man alle Kategorien, so lässt sich feststellen, dass in Europa der Gedanke einer politischen Union immer noch Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Mitgliedsstaaten hat. Allerdings ist diese europäische Vision heute mehr von den Bürgern getragen. Sie wünschen sich ein einheitliches, demokratisches Europa und lehnen die Konzentration auf ökonomische Vorteile der EU ab. Dies zeigte sich besonders deutlich in der Verfassungsdiskussion in Frankreich, einem Land, das sich trotz grundsätzlich positiver Einstellung einer EU-Verfassung gegenüber (67% der Franzosen befürworten eine Verfassung) in einer Volksabstimmung gegen die Verfassung aussprach, weil viele Franzosen sie als unsozial empfanden.
Diesem Trend entgegen stehen die Lissabon-Strategie und die Bestrebungen der Regierungen einiger Mitgliedsstaaten, allen voran Großbritannien, die die EU hauptsächlich als Wirtschaftsraum im globalen Wettbewerb sieht. Angesichts der verschärften Wettbewerbsbedingungen durch die Globalisierung kann man diesen strukturellen Zwang sicherlich nicht verleugnen. Wenn die EU auf Dauer bestehen will, muss sie besonderes Augenmerk auf die wirtschaftliche Entwicklung Europas legen. Allerdings darf dieses wichtige Ziel nicht um den Preis einer weitergehenden europäischen Einigung verfolgt werden. Diese Gefahr bestünde jedoch, wenn man aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus einer uferlosen Expansion der EU zustimmen würde.
Nils-Holgerson - 29. Mai, 23:06