Freitag, 20. April 2007

Marcel Reif

Neues aus der Schreibwerkstatt: Heute war ein Interview mit darauf aufbauendem Portrait an der Reihe. Da ich zufällig vor zwei Tagen eine Art Interview mit Marcel Reif führen konnte, habe ich die Gelegenheit genutzt und Deutschlands besten Fußballkommentator portraitiert:

Marcel Reif

Schon der große Rudi Michel wusste: Mehr als fünfzig Prozent der Zuschauer kriegt man als Fußballkommentator ohnehin nicht auf seine Seite. Schaut man sich in der deutschen Kommentatorenlandschaft von heute einmal um, so fällt einem eigentlich nur ein Vertreter dieser Zunft ein, der auf ähnliche Zustimmungsraten beim kritischen Publikum kommt: Marcel Reif. Damit hat der Premiere-Chefkommentator unter den ganzen Beckmanns, Kerners und neuerdings sogar Pflaumes des deutschen Sportjournalismus eine Position inne, die ihresgleichen sucht.
Besonders ungewöhnlich ist diese Ausnahmestellung, wenn man sich vor Augen hält, dass der Sohn polnischer Einwanderer erst 1957, im Alter von acht Jahren, nach Deutschland immigrierte und sein Handwerkszeug – die deutsche Sprache – erlernte. Seitdem pflegt Reif jedoch eine besondere Liebe zum Deutschen, die ihn nach seinem Abitur dazu veranlasste, Publizistik, Politikwissenschaften und Amerikanistik zu studieren. Schon damals war das Ziel, später einmal journalistisch zu arbeiten, klar, und so ergriff Reif bereits im Jahre 1972 die Chance, als freier Mitarbeiter in der ZDF-heute Redaktion tätig zu werden, auch wenn dies einen Abbruch des Studiums bedeutete. Diese fundierte journalistische Ausbildung sieht Reif bis heute als Schlüssel für seinen Erfolg und als notwendige Grundlage für jeden angehenden Sportkommentator.
Diverse Stationen in den Politikressorts des ZDF führten in im Jahre 1984 dann endlich in den Bereich, dem er seit frühester Jugend den Großteil seiner Freizeit gewidmet hatte: Dem Sport. Zunächst noch in den Bereichen Fußball und Eishockey eingesetzt, wechselte Reif 1994 zu RTL, wo er sich ausschließlich auf Fußball konzentrieren konnte. Hier begann sein Aufstieg zu einem der beliebtesten deutschsprachigen Kommentatoren. 1996 Bereichsleiter Sport, 1997 Chefkommentator Fußball, 1999 Chefkommentator Premiere. 2003 erhielt seine Arbeit dann höchste offizielle Weihen, als ihm für seine Berichterstattung von der Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea der Grimme-Preis verliehen wurde.
Die langen Jahre im Fernsehgeschäft haben den Wahlschweizer, der heute mit seiner zweiten Frau Sandra Weder und seinen beiden Söhnen Timothy und Nicolas in Zürich lebt, gelassen gemacht. Denn Reif hat nicht nur die Sonnenseiten der Medienlandschaft kennen gelernt: So verlor sein Arbeitgeber Premiere in der letzten Saison die Fernsehübertragungsrechte für die Bundesliga, was dazu führte, dass seine Analysen von exakt 48 Haushalten empfangen werden konnten. Darauf angesprochen reagiert der 57-jährige abgeklärt: „Mein Gehaltsscheck entschädigt mich am Ende des Monats, und wer als Fußballkommentator sein Goebbels-Syndrom befriedigen und die Massen erreichen will, der soll halt WM-Endspiele kommentieren“. Aus diesen Statements lässt sich jedoch auch ein gewisser Zynismus heraushören, ohne den man die lange Zeit in der teilweise verworrenen Welt der deutschen Fußballübertragungen (O-Ton Reif: „Das ist Absurdistan!“) wohl nicht unbeschadet übersteht.
Die wohl auffälligste Eigenschaft Reifs ist jedoch eine kindliche Begeisterung für die Sache selbst. Wenn alle Fragen über die ökonomischen und journalistischen Fragen seines Berufs diskutiert sind und es endlich einfach nur um Fußball geht, blüht er auf. Dann redet er stundenlang über die europäische Konkurrenzfähigkeit der Bundesliga, die Schwächen des Münchner Scouting-Systems oder die Hilflosigkeit der Dortmunder Borussen im Abstiegskampf. Und dann merkt man auch, was der eigentliche Grund für seinen anhaltenden Erfolg ist: Marcel Reif ist Fußball-Fan, und das aus vollem Herzen.

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